Mar 31

Unruhe, Revolution, Aufstand: Nicht in Deutschland – oder?

Wenn man die Unzufriedenheit, die weite Teile der Bevölkerung in Deutschland ergriffen zu haben scheint, in Stichpunkten Revue passieren lässt, dann fragt man sich unwillkürlich und nach mehr oder weniger kurzer Zeit, warum es in Deutschland so ruhig ist: Warum gibt es keinen Aufstand, keine Unruhe, angesichts:

  • einer Flüchtlingskrise?
  • einer Enteignung durch die Geldpolitik der EZB?
  • des endemischen Nepotismus’, mit dem politische Spezl sich gegenseitig versorgen?
  • einer politischen Klasse, die mehr mit deviantem Verhalten als mit dem Alltagsleben der Bürger befasst ist?
  • eines Rentensystems, das nicht aufrechterhalten werden kann, in das die Bürger aber dennoch ihr Geld bezahlen müssen?
  • einer Ungleichheitsstruktur, die manche Frauen von der Arbeit, die vollerwerbstätige Männer und Frauen verrichten, in allen Lebenslagen bis ins hohe Alter profitieren lässt?
  • einer weitgehenden Pervertierung demokratischer Werte von individueller Freiheit, Selbstbestimmung und Meinungsfreiheit?
  • einer Instrumentalisierung von Schulen als Kaderschmieden?
  • und
  • und
  • und

Für Max Weber ist die Legitimation einer politischen Ordnung in modernen Gesellschaften eng an die Legalität, “die Fügsamkeit gegenüber formal korrekt und in der üblichen Form zustande gekommenen Satzungen” gebunden (Weber, 1988: 581). Dabei ist er explizit der Ansicht, dass es nicht um die tatsächliche Legitimation einer politischen Ordnung geht, sondern um die “Vorstellung vom Bestehen einer legitimen Ordnung” (Weber, 1988: 573). Mit anderen Worten, für Weber ist eine politische Ordnung dann legitim und somit stabil, wenn die Bürger, die der entsprechenden Ordnung unterworfen sind, die Ordnung als legitim ansehen und dieses Ansehen auf ihre Vorstellung bauen, dass alles mit demokratischen und rechten Dingen zugeht, dass die Institutionen der demokratischen Ordnung, die Parlamente, die Gesetzgebung, die Gerichte, in einer legalen und den Regeln entsprechenden, keinen bevorzugenden oder benachteiligenden Weise funktionieren.

Die Vorstellung von der Legitimität oder der Glaube an die Legitimität der politischen Ordnung sind für Max Weber zentral, denn: “[s]oweit ‘Abstimmungen’ als Mittel zur Schaffung oder Änderung von Ordnungen legal sind, ist es sehr häufig, dass der Minderheitswille die formale Mehrheit erlangt und die Mehrheit sich fügt, also: die Majorisierung nur Schein ist” (Weber, 1988: .

Damit sind wir zurück bei der Eingangs gestellten Frage: Wenn es in demokratischen Systemen für organisierte Minderheiteninteressen ein Leichtes ist, eine Schein-Majorisierung zu erreichen, also für sich fälschlicherweise in Anspruch zu nehmen, den Willen der Mehrheit zu repräsentieren, dann folgt daraus zwangsläufig, dass die Anzahl derer, die sich politisch übervorteilt oder nicht repräsentiert sehen, immer größer, die Liste der Entscheidungen, die letztlich gegen den Willen der Mehrheit getroffen wurden, immer länger wird. Also stellt sich einerseits die Frage, wie viel Legitimität die geltende politische Ordnung noch hat, um andererseits die Frage zu beantworten, warum, trotz all der aufgezählten Fehlentwicklungen und Probleme der deutschen politischen Ordnung, es in Deutschland keinen Aufstand gibt.

Wir haben uns aufgemacht, diese Frage in unserer neuesten Befragung auf SurveyNET zu beantworten und hoffen, dass sich viele unserer Leser an der Befragung zu “Legitimität und Legitimation” beteiligen.

Zur Teilnahme bitte einfach hier klicken.

Weber, Max (1988). Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. Tübingen: Mohr Siebeck.

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Jan 21

Deutsche haben Angst, ihre Meinung zu sagen

In unserer Befragung zu Parteien, Demokratie und Freiheitsrechten, die wir derzeit online haben, erfragen wir u.a. die Einschätzung von Freiheitsrechten. Treffen die folgenden Aussagen voll und ganz, eher, eher nicht oder überhaupt nicht zu, so fragen wir u.a. für die Aussagen,

  • dass Deutschland freie und unabhängige Medien hat;
  • dass man in Deutschland ohne Angst in der Öffentlichkeit seine Meinung kundtun kann;
  • dass man in Deutschland vor Gericht gleichbehandelt wird;
  • dass in Deutschland die Erziehungsrechte von Eltern respektiert werden.

Die Ergebnisse, die wir hier als Zwischenstand nach 600 Befragten präsentieren, sind ernüchternd um nicht zu sagen: erschreckend. Die Mehrzahl unserer Befragten ist der Ansicht,

  • dass es in Deutschland keine freien und unabhängigen Medien gibt,
  • dass man in Deutschland nicht ohne Angst in der Öffentlichkeit seine Meinung äußern kann;
  • dass man in Deutschland vor Gericht nicht gleichbehandelt wird;
  • dass in Deutschland das Erziehungsrecht der Eltern nicht respektiert wird;

Die entsprechenden Einschätzungen sind nicht etwa etwas häufiger, sie sind viel häufiger als die Einschätzungen, die man in einer Demokratie als Einschätzungen der Mehrheit erwarten würde. Die folgenden beiden Abbildungen machen dies sehr deutlich.

SN_Freiheitsrechte_1

Eine deutliche Mehrheit der Befragten ist also der Ansicht, dass es in Deutschland, rudimentäre Freiheitsrechte, die in Demokratien gewährleistet sein müssen, damit sich die entsprechenden Regierungssysteme auch Demokratie nennen können, nicht gewährleistet sind. Folglich muss man konstatieren, dass die deutsche Demokratie zumindest in einer Glaubwürdigkeitskrise steckt, so richtig, glaubt niemand mehr, dass Deutschland durch ein demokratisches Regierungssystem ausgezeichnet ist.

Dies wird auch deutlich, wenn man analysiert, wer insbesondere der Ansicht ist, dass die entsprechenden Freiheitsrechte nicht gewährleistet sind. Wir stellen dies für diejenigen dar, die der Meinung sind, man könne in Deutschland nicht öffentlich seine Meinung sagen, ohne Angst zu haben.

Die entsprechende Einschätzung findet sich häufiger unter:

  • Wählern von SPD, AfD, FDP und Bündnis90/Grüne;
  • unter Personen, die ihre politische Orientierung mit rechts der Mitte angeben oder sich in der politischen Mitte verorten;

Und das war es im Wesentlichen, denn die Angst, sie zieht sich durch alle Bevölkerungsschichten: In welcher sozialen Schicht sich die Befragten verorten, macht keinen Unterschied. Wie alt sie sind, macht keinen Unterschied. Wie hoch ihr Einkommen ist, macht keinen Unterschied. Welchen Bildungsabschluss ein Befragter erreicht hat, macht keinen Unterschied.

Angst Munch.jpgDie Angst, in der Öffentlichkeit eine Meinung zu äußern, sie geht durch nahezu alle politischen Lager (auch wenn sie ab der Mitte des politischen Spektrums nach rechts zunimmt), sie durchzieht alle Bevölkerungsschichten, scheint allgegenwärtig zu sein.

Und dies, obwohl es in Deutschland angeblich keine Repressionen dafür gibt, seine Meinung in der Öffentlichkeit zu äußern. Angeblich ist hier wohl das operative Wort, wenngleich sich natürlich die Frage stellt, ob die Einschätzung auf der Befürchtung von Konsequenzen oder der Erfahrung von Konsequenzen basiert. Unabhängig davon kann man jedoch feststellen, dass bei allen, denen die Demokratie in Deutschland am Herzen liegt, die Alarmglocken läuten müssten, denn wenn die Meinungsfreiheit verloren ist oder aus Angst nicht mehr genutzt wird, ob diese Angst nun begründet ist oder nicht, dann ist die Demokratie tot.

In jedem Fall ist eine in der Bevölkerung verbreitete Angst, die eigene Meinung in der Öffentlichkeit zu äußern, ein Zeichen für einen massiven Vertrauensverlust gegenüber den demokratischen Institutionen in Deutschland, von denen offensichtlich nicht erwartet wird, dass sie die Möglichkeit garantieren, die eigene Meinung ohne Konsequenzen und letztlich angstfrei in der Öffentlichkeit auszusprechen. Auch ein solcher Vertrauensverlust hat ein Verenden demokratischer Institutionen und damit den Tod der Demokratie zur Folge. Denn in einer Gesellschaft, in der Grundvertrauen nicht vorhanden ist, einer Gesellschaft, in der aus Angst niemand mehr mit dem anderen spricht, findet kein öffentlicher Diskurs statt und deshalb kann auch keine Konsensbildung stattfinden.

Bleibt abschließend noch die Frage: Warum ist die Angst vor den Konsequenzen einer öffentlichen Meinungsäußerung in Deutschland so verbreitet? Aus sozialpsychologischer Sicht wird man diese Angst wohl als Ergebnis der Jagd auf die Meinungsfreiheit bewerten, jene Jagd, die unter dem Stichwort “Hasskommentare” geführt wird und mit der besonders Korrekte die Meinungsfreiheit korrekt erdrosseln und dabei sind, sie zu beseitigen.

Die Befragung zu Parteien, Demokratie und Freiheitsrechten läuft weiterhin. Wer sich noch nicht beteiligt hat, der möge dies bitte hier nachholen.

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Jan 14

Den etablierten Parteien laufen die Hochgebildeten davon

Forschung LIVE!

Wir haben uns nicht nur vorgenommen, mit SurveyNET eine Seite zu betreiben, auf der wir unsere eigene Sozialforschung machen und auf der wir dem Stand der Methoden und der Methodologie gerecht werden wollen, wir haben uns auch vorgenommen, den Lesern von ScienceFiles und SurveyNET hautnah die Ergebnisse laufender Befragungen zu präsentieren, sie quasi am Puls der Befragung zu halten und an der Befragung, an der sie mitgewirkt haben, weiter teilhaben zu lassen.

Und das tun wird jetzt!

diagram.pngUnsere derzeit laufende Befragung zum Extremismus beginnt mit zwei Fragen, in denen die Wahlentscheidung bei der letzten Bundestagswahl und die Wahlabsicht für die nächste Bundestagswahl erfragt werden.

Wir haben auf Grundlage der ersten 200 Teilnehmer an der Umfrage beide Fragen zueinander ins Verhältnis gesetzt und dabei folgende Auffälligkeiten festgestellt:

  • CDU/CSU, FDP und SPD verlieren an die AfD. Dabei sind die Verluste von CDU/CSU und FDP an die AfD höher als die der SPD, aber selbst die Verluste der SPD sind beachtlich.
  • Die AfD schafft etwas, was in der Vergangenheit nur wenigen Parteien gelungen ist, nämlich die Mobilisierung von Nichtwählern. Rund die Hälfte der Befragten, die bei der letzten Bundestagswahl nicht gewählt haben, plant AfD zu wählen. Der Anteil derjenigen, die bei der letzten Bundestagswahl nicht gewählt haben in unserem Sample beträgt derzeit rund 20%.

Nun stellt sich die Frage, wer sind die Wechsler, die CDU/CSU, FDP und SPD in Richtung AfD davonlaufen wollen und wer sind die Nichtwähler, die durch die AfD aktiviert werden, sich wieder an einer Wahl zu beteiligen?

Wir haben die Wechsler zur AfD vorläufig nach drei Merkmalen untersucht: Schulabschluss, Studium und Einkommen. Hier die Ergebnisse:

  • Wechsler von der CDU/CSU zur AfD haben in der Regel ein Abitur und ein abgeschlossenes Studium und ein hohes Einkommen.
  • Wechsler von der SPD zur AfD haben in der Regel ein Abitur und ein mittleres Einkommen.
  • Wechsler von der FDP zur AfD haben in der Regel ein Abitur, ein abgeschlossenes Studium und ein mittleres bis hohes Einkommen.
  • Nichtwähler, die beabsichtigen, bei der nächsten Wahl AfD zu wählen, haben in der Regel ein Abitur und ein abgeschlossenes Studium und finden sich am unteren und am oberen Ende der Einkommensskala.

Die AfD rekrutiert demnach Hochgebildete, Akademiker und die Bezieher von hohen Einkommen. Ein Ergebnis, das bei den etablierten Parteien die Alarmglocken läuten lassen sollte, denn offensichtlich fühlen sich Hochgebildete, Studierte und Bezieher mittlerer bis hoher Einkommen durch CDU/CSU, SPD und FDP nicht mehr repräsentiert, ein Ergebnis, das durch die Mobilisierung hochgebildeter und studierter Nichtwähler bei der letzten Bundestagswahl durch die AfD noch bestärkt wird.

Das Ergebnis ist ein Zwischenstand. Die Befragung läuft nach wie vor. Wer daran teilnehmen will, kann dies hier tun:

Extremismus: Gegenstand und Verbreitung.

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